Willkommen in Kanada
Aktualisiert: 23. Juni
"Und was haben Sie vor, in Kanada zu machen? Reisen und Spaß haben?" fragt mich der ernste Grenzpolizist am Flughafen in Toronto, der meinen Reisepass, Krankenversicherungsnachweis und Letter of Entry vor sich liegen hat, während er in seinem Computer rumtippt. Verunsichert, weil ich ihn erst nicht verstanden hab und dann verwirrt bin, starre ich ihn an. Will er small talk machen? Oder mich über meine Absichten in seinem Land aushorchen? Die Asiaten, die am Schalter neben mir weint und versichert, dass sie nur zurück nach Hause will, aber scheinbar irgendwelche Dokumente nicht dabei hat, hilft mir nicht wirklich, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich entscheide mich dann aber doch für die ehrliche Antwort: Dass mein Fokus auf dem reisen liegt, ich aber auch Arbeitserfahrung in Kanada sammeln will und mein eigentlicher Plan ist, irgendwann als Digitalnomade von überall aus zu arbeiten. Ich meine, ihm ein kurzes Lächeln entlocken zu können und er gibt mir ein Arbeitsvisum mit einem "Welcome to Canada - enjoy it" - zurück. Immer noch verwirrt, aber mit einem gültigen Arbeitsvisum in der Hand, mache ich mich auf den Weg zu meinem Anschlussflieger nach Vancouver und bin gespannt, was mich hier in Kanada so erwartet.
Erstmal sind das vor allem Graupelschauer, die mich in Vancouver empfangen. Die Skyline der Stadt ist aber trotzdem beeindruckend. 3 Tage muss ich mich gedulden, bis ich die Berge zum ersten Mal sehe - ich sitze im Skytrain und kann nicht anders als lächeln und aus dem Fenster starren. Wenn ich durch Vancouver Downtown laufe, spitzen die schneebedeckten Gipfel der Coastal Mountains immer wieder zwischen den Wolkenkratzern hervor, was mich ziemlich beeindruckt. Ich zähle die Tage, bis ich die Gipfel endich erklimmen kann - was aber noch ein wenig dauern kann, da es gestern nochmal frisch geschneit hat.
Omega & Obdachlose: die Stadt der Kontraste
In meiner ersten Woche hier und noch ziemlich verwirrt, steige ich Downtown zwar in den richtigen Bus, der aber in die falsche Richtung fährt. Während ich mein Buch lese, nehme ich die Umgebung nur am Rande war, bis ich auf einmal einige Zelte am Straßenrand stehe. Das ist also Tent Town - die East Hastings Street, der schlimmste Block in Vancouver. Obdachlose, von denen die meisten von irgendwelchen Drogen abhängig sind, hausen hier in Zelten oder liegen im Delirium vor Hauseingängen rum. Mir dämmert langsam, dass ich den Bus in die falsche Richtung genommen habe. Hier aus- und umsteigen ist nicht die beste Idee, daher fahr ich noch einige Stationen weiter, bevor ich den Bus in die richtige Richtung nehme. Der fährt nochmal durch Tent Town und ich versuche, die Menschen nicht zu sehr anzustarren. Willkommen in Vancouver.
Dafür gibt es quasi mitten in Vancouver auch hübsche und saubere Strände, mit zahlreichen Sportmöglichkeiten und natürlich auch Beachvolleyballfeldern, die ich direkt austeste. Beachvolleyball spielen mit Bergblick, kann es noch besser werden? Ja, wenn auf einmal das kanadische Frauen-Nationalteam auf dem Court nebenan trainiert und ich mir einige Tricks abschauen kann.
I want to ride my bicycle
Für nordamerikanische Verhältnisse ist Vancouver ein Traum für Radler und kann locker mit München mithalten. Mein gebrauchtes Gravelbike freut sich, von mir ausgefahren zu werden. Ich muss fast nie gemeinsam mit den Autos auf großen Straßen fahren, fast überall gibt es verkehrsberuhigte Fahrradstraßen und extra Ampeln. An vielen Sky-Train Stationen (eine Art S-Bahn, die Vancouver und Umgebung verbindet) gibt es Fahrrad-Parkhäuser. Die sind hier wohl auch nötig, denn jeder erzählt mir, wie häufig hier Fahrräder geklaut werden. Ich bin daher immer ein bisschen nervös, wenn ich mein Rad auch nur 15 Minuten irgendwo abstelle.
"Willkommen in Kanada" höre ich hier übrigens fast täglich, wenn ich neue Leute kennenlerne und erzähle, dass ich erst seit ein paar Wochen hier bin. Beim Sport, aber auch in der Bank oder offiziellen Behörden. Ich glaube, das hab ich in Deutschland noch nie irgendjemand sagen hören und auch ich selbst hab mich das noch nie sagen hören. Und das obwohl mein Freundeskreis in München sehr international ist. Daran merke ich, dass Kanada ein richtiges Einwandererland ist und Menschen aus der ganzen Welt aufnimmt. Ich bin gespannt, welche weiteren Erfahrungen als "Einwandererin" ich hier so sammel und für mich mitnehmen kann.
So langsam realisiere ich auch, dass mich hier der Alltag wieder hat. Meine größte Herausforderung ist es also nicht mehr, mit dem Bus in den nächsten Nationalpark zu kommen oder den perfekten Campingplatz zu finden. Sondern erstmal einen Job zu finden, denn in Kanada ist dank Inflation alles ziemlich teuer und der Andrang auf gute Jobs groß.